Leipheim. Irgendwie war am Samstagabend alles ganz ungewohnt im Zehntstadel: Eine Begrüßungsrede gleich im Foyer,
keine Frontal-Bühne, dafür ein Publikum, das sich gegenübersaß, mittendrin kreuz und quer gespannte rot-weiße Absperrbänder
und eine erste Szene, die vollkommen im Dunkeln spielte. Der Bruch war gewollt und ganz bewusst, denn an diesem Abend
traten keine ganz gewöhnlichen Schauspieler auf: Fünf der zwölf Darsteller sind blind, für eine einmalige Premiere
reisten sie samt Regisseur und Equipment extra aus dem hohen Norden an und zeigten ihr Stück "Blindfische und Sehfische".
Dass das Publikum im Zehntstadel kein traditionelles Theaterstück präsentiert bekommen würde, war am Samstag nach wenigen
Sekunden klar: Zehntstadel-Leiterin Cordula Baier passte die Gäste noch vor der Vorstellung im Foyer ab und stellte sie auf
ein Projekt mit neuen Mitteln und einer "neuen Theaterästhetik" ein. Da die Gruppe aus blinden Laien- und sehenden
Schauspielern normalerweise nur in Hamburg auftritt, wurde der ganze Tross einmalig nach Leipheim gekarrt, ein logistischer
und finanzieller Aufwand, der ohne Sponsoren nicht möglich gewesen wäre, wie Baier betonte. Ihre "Warnung",
dieser Abend, zu dem auch mehrere Blindengruppen eingeladen waren, werde "etwas ganz Besonderes" werden,
bekamen die Gäste gleich im Foyer zu spüren.
Genau hier nahm das Stück seinen Anfang, mit zwei Blinden, die sich als Erstes selbst auf die Schippe nahmen. "Hast Du schon
mal die Frau von Andrea Bocelli gesehen?" "Nee, aber er auch nicht." Und da war das Publikum schon mittendrin in einem Stück
voller Witz, Tiefgang, Poetik und Romantik, gewürzt mit einer Prise Gesang, gefühlvoller Cello-Musik und sinnlicher Erotik.
Da treffen zwei Gruppen aufeinander, die Blinden und die Sehenden, die beide die Lust am Theaterspielen verbindet. Erstere
träumen davon, ein Stück von Shakespeare auf die Bühne zu bringen - "to see or not see" -, letztere proben für Shakespeares
Sommernachtstraum. Wie es das Stück so will, dürfen weder der "Puck" fehlen, der seinen Schabernack treibt, noch die Liebe
und die Dramatik. Eine blinde Barbedienung und ein für jedes Abenteuer zu habender Schauspieler lernen sich kennen und lieben,
die Welten und Theatergruppen vermischen sich, ein turbulentes Verwirr- und Eifersuchtsspiel entspinnt sich. Um am Ende
in Harmonie zu enden.
Für die Zuschauer war es nicht immer leicht, im wechselnden Hell und Dunkel den Irrungen und Wirrungen zu folgen. Doch
genau das war es wohl, was Regisseur Jörn Waßmund erreichen wollte: spüren, wie es ist, nichts zu sehen, dem Geschehen
nicht folgen zu können. Genauso müssen sich manchmal Blinde fühlen. Die bewegten sich übrigens trotz kurzer
Eingewöhnungsphase mit traumwandlerischer Sicherheit durch den Zehntstadel, nahmen charmant die Sehenden aufs
Korn ("Ob der im Dunkeln immer so ungeschickt ist?") und ließen geschickt ihre realen Sehnsüchte und Sorgen einfließen.
"Wie es wohl ist, die Sterne zu sehen oder eine Sternschnuppe?" Cordula Baier sollte am Ende Recht behalten: Es war etwas
Anderes, etwas ganz Besonderes.
Günzburger Zeitung, 23.2.2009
(Heike Schreiber)
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